Geplantes Heizkraftwerk für Conti - Bürgerinitiative drängt weiter auf toxikologisches Gutachten
KORBACH (jk). Mit geballter Information und Nachdruck bleibt die „Bürgerinitiative für ein lebenswertes Korbach" bei ihren Forderungen zum Heizkraftwerk: Betreiber MW soll durch ein Gutachten zunächst die bestehende Belastung in Boden, Luft und Wasser klären, bevor in Korbach Brennstoff aus Müll verfeuert wird. Zudem sei eine erheblich effektivere Filtertechnik möglich, unterstrichen Referenten im kritischen Disput mit den Stadtverordneten.
Vor der Gesprächsrunde im Rathaus saß die Enttäuschung beim Aktionsbündnis tief: Bürgerinitiative, Naturschutzbund, Bund für Umwelt und Naturschutz, Bündnis 90/Grüne und Ärztenetz Waldecker Land forderten seit Monaten gebetsmühlenartig vom Kraftwerksbetreiber mehr Gesundheitsvorsorge für die Bevölkerung. Dabei geht es vor allem um zwei Punkte:
• humantoxikologische Voruntersuchung, um erst mal die schon bestehende Umweltbelastung in Korbach zu messen:
• gegen die Abgase eine mehrstufige Filtertechnik einbauen, wie sie in zahlreichen deutschen Kraftwerken bereits üblich sei.
„Sie hätten sich vorher mal sachkundig machen können"
Beide Seiten - hier der Kraftwerksbetreiber MVV Energie (Mannheim) mit Conti als Nutzer, dort das Aktionsbündnis - sollten die Chance für Informationsrunden vorm Parlament erhalten. So war es weit vor den Sommerferien geplant. Ziel war ebenso eine gemeinsame Expertenrunde mit Pro und Kontra. Doch im Juni hatte nur MVV zur Parlamentsrunde geladen, der Termin mit dem Aktionsbündnis folgte erst vorigen Freitagabend. Und ein gemeinsamer Auftritt von Planem und Kritikern steht in weiter Ferne.
Mitglieder der Bürgerinitiative hielten dies für eine Farce, denn die Stadtverordnetenversammlung hat längst eine Entscheidung gefällt: Am 21. September lehnte die Mehrheit von SPD, FWG, FDP und Teilen der CDU zwei Anträge von Bündnis 90/Grüne und aus den Reihen der CDU ab. Damit sollte die Stadt in die Pflicht genommen werden, vom Regierungspräsidium ein Gutachten zur Schadstoff-Vorbelastung zu fordern. Die Mehrheit im Parlament stimmte den Vorstößen aber nicht zu - ohne der Bürgerinitiative zuvor das Forum gegeben zu haben.
„Sie hätten sich vorher mal sachkundig machen können", wetterte es aus den Reihen der Zuhörer im Rathaus. Doch diese Kritik wollten weder CDU-Fraktionschef Andreas Kwoll noch SPD-Sprecher Helmut Schmidt auf sich sitzen lassen. Kwoll hatte bereits an mehreren Veranstaltungen der Bürgerinitiative teilgenommen und sah am Freitagabend „für mich nichts Neues". Schmidt deutete auf parlamentarische Zwänge: „Wir mussten entscheiden", betonte er. Denn Grüne und Teile der CDU hätten einen weiteren Aufschub für ihre Anträge abgelehnt.
Zudem verwiesen Parlamentarier, dass eine humantoxikologische Voruntersuchung schon qua Gesetz (Technische Anleitung Luft) gefordert sei. Nur in Ausnahmen könne darauf verzichtet werden - etwa bei begründeter Unbedenklichkeit. Doch gerade auf solchen „Irrelevanzkriterien" baut Betreiber MVV die Planung auf: Nach
dessen Konzept erfüllt das Heizkraftwerk alle Bedingungen der jüngsten Bundesimmissionsschutzverordnung, die Grenzwerte würden im laufenden Betrieb sogar deutlich unterschritten, argumentiert der Mannheimer Energieversorger.
Und genau dies ist der Knackpunkt in der Auseinandersetzung: Das von MVV geplante Heizkraftwerk erfüllt die Anforderungen, dürfte also nach Recht und Gesetz genehmigt werden. Es gebe jedoch technisch deutlich effektivere Filteranlagen als in Korbach geplant, untermauert die Bürgerinitiative. Außerdem liege keine Datenbasis über schon bestehende Umweltbelastungen in der Kreisstadt vor, betonen die Referenten der Bürgerinitiative unisono: Der renommierte Kieler Umwelttoxikologe Dr. Hermann Kruse, Peter Gebhardt, Umweltingenieur aus Mittelhessen, und Klaus Koch, selbständiger Umweltberater aus Norddeutschland.
Alle drei hatten bereits in Korbach vorgetragen, teils mehrfach. Somit wiederholten sie in der Sondersitzung fürs Parlament weitgehend ihre kritischen Argumente. Gebhardt zeigte das Schema eines Kraftwerks im thüringischen Rudolstadt mit „nahezu derselben Anlagentechnik" wie in Korbach. Am Ende sorge ein einziger Gewebefilter für Abgasreinigung von Feinstaub, Schwermetallen, Dioxinen, Furanen und chlorierten Kohlenwasserstoffen.
Mehrstufige Verfahren wie etwa in Bielefeld hätten entscheidende Vorteile, erklärte Gebhardt: Zum einen würden deutlich mehr Schadstoffe herausgefiltert, zum anderen sei die Sicherheit erheblich höher.
„Was passiert, wenn der Filter in Korbach mal ausfällt?", fragte Gebhardt rhetorisch. Zumal Störfälle bei Müllverbrennungsanlagen nicht auszuschließen seien. Als Beispiele nannte er „Bunkerbrände" im Brennstofflager aus Müll oder erhöhte Belastungen
mit Quecksilber, das dann weitgehend im Rauchgas lande. Gebhardts Fazit: „Gerade an einem Standort wie in Korbach, wo die Anlage sehr nahe an die Wohnbebauung heranreicht, muss man mehrstufige Anlagen bauen, um Störungsfällen entgegenzuwirken."
Koch hielt den geplanten Bau auf dem Gelände am Conti-Tor 2 grundsätzlich für problematisch, weil es in Wasserschutzzone III liege. Mehr Verkehrsbelastung durch „Mülltourismus" führte er zudem an. Vor allem aber verwies Koch auf Gefahren durch Feinstaub.
Das untermauerte der Umwelttoxikologe Dr. Hermann Kruse: „Die Stäube sind für mich das Hauptproblem", denn an den Staubpartikeln „hängen die Schadstoffe". Erkrankungen der Atemwege könnten die Folge sein, Störungen im Hormonsystem und Allergien, aber auch „das Krebsgeschehen" könne dadurch beeinflusst werden. „Deshalb sage ich als Toxikologe: Wir brauchen eine möglichst geringe Belastung, damit nicht irgendein Fass zum Überlaufen kommt." Somit setzt Kruse aus Gesundheitsvorsorge generell deutliche niedrigere Grenzwerte an, als gesetzlich vorgeschrieben.
„Durch nichts zu belegen, dass Sie hier Kurluft einatmen"
In Korbach aber laufe die Diskussion quasi im luftleeren Raum, weil es keinerlei Daten über die Schadstofflasten gebe. „Es ist durch nichts zu belegen, dass Sie hier Kurluft einatmen", betonte Kruse. Daher plädierte der Umwelttoxikologe vehement, die Belastungen in Luft, Boden und Wasser zunächst zu untersuchen, bevor das Kraftwerk genehmigt wird: keine „Messorgien", sondern eine Beschränkung auf „Leitverbindungen" wie Stickoxide, Schwefeldioxid und Stäube, denn daraus ließen sich bereits aussagekräftige Erkenntnisse ziehen.
Für alle drei Referenten gab es aus den Reihen der Bürgerinitiative kräftigen Applaus. Hin- und hergerissen zwischen Arbeitsplätzen bei Conti und Gesundheitsvorsorge, ist das Prozedere somit für die Parlamentarier hartes Brot, auch das wurde in der Debatte deutlich. „Wenn Sie als Stadtverordneter durchs Dorf gejagt werden, kann man auch schon mal emotional reagieren", meinte CDU-Fraktionschef Kwoll. „Ich fühle mich vorgeführt", ließ Reinhold Sude (SPD) durchblicken. Mehrfach gab es zudem skeptisches Nachbohren beim Umweltberater Koch. Der präsentierte exakt die gleichen Inhalte wie vor einem halben Jahr, obwohl doch neuere Planungsunterlagen von MW längst vorliegen. Zudem wiederholte er die Behauptung, in Korbach seien 170 Tage pro Jahr „Inversions-Wetterlage" - eine Art Dunstglocke über der Stadt. Für den Stadtverordneten und promovierten Geographen Dr. Marc Müllenhoff (CDU) war dies kaum nachvollziehbar. Und so musste Koch abermals einräumen, dass seine meteorologische Erkenntnis auf einem kurzen Austausch mit einem hessischen Landesbediensteten basiert, der noch dazu seine Schlussfolgerung von Witzenhausen auf Korbach übertragen hat.
Im Gegenzug liegen aber auch dem Kraftwerksbetreiber MVV keine genauen Wetterdaten über Korbach vor, weil es hier keine spezielle Messstation gibt. Somit lockte Kruse wider den Stachel: „Hier geht es nicht darum, irgendeine Fabrik plattzumachen. Ich bin Wissenschaftler und darf das fragen: Warum gibt es hier überhaupt Probleme mit einer Untersuchung?" Warum sollte man nicht in kleinen Gruppen mit Conti und MVV sprechen? „Diese vier oder fünf Monate für eine Untersuchung wird doch die Firma nicht vom Sockel reißen. Und sie hätten die Chance, das Vertrauen der Bürger in der Region zu gewinnen."
Damit erntete Kruse Beifall von allen Seiten - ob von Stadtverordneten oder den Zuhörern der Bürgerinitiative. „Eines haben Sie auf jeden Fall erreicht: dass ich den Aussagen von Conti und MVV kritischer gegenüberstehe", meinte CDU-Fraktionschef Kwoll.
Ob die Debatte im Rathaus am weiteren Genehmigungsverfahren etwas ändert, das steht aber in den Sternen. Eine Vorbelastungsuntersuchung sei nicht zwingend, räumten die Referenten ein. Zudem kostet sie für den Betreiber zusätzliches Geld: Zwischen einer halben und einer Million Euro für umfangreiche Messungen über ein Jahr; laut Koch 100 000 bis 125 000 Euro für ein abgespecktes und kürzeres Gutachten, das über einige Monate läuft.
„Die Bürgerinitiative verweigert sich hier in Korbach nicht. Sie wollen nur Fakten und Sachfragen abklären, es geht keinesfalls um die Existenz von Conti", betonte Koch. Doch bleiben Gutachten und andere Filtertechnik für das Kraftwerk vor allem eine Frage von Verhandlung und Politik, wie Kruse deutlich machte. So hofft Dr. Julia Günther-Pusch, Sprecherin der Bürgerinitiative (BI), trotz der vorigen Entscheidung im Parlament auf politische Unterstützung für ihre Forderung: Beim Regierungspräsidium liegt seit Ende August ein Antrag des Aktionsbündnisses vor für eine humantoxikologische Voruntersuchung.
Am 16. (verlegt auf den 23., der Webmaster) Oktober werden die Genehmigungsunterlagen für das Kraftwerk in Korbach erstmals öffentlich ausgelegt.
Quelle: WLZ vom 11. Oktober 2006 Zurück
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