BI lebenswertes Korbach

Stadt nicht unter Dauerglocke

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Meteorologin des Deutschen Wetterdienstes erläutert Gutachten zu Inversionslagen in Korbach

KORBACH. Die Stadt Korbach liegt keineswegs die meiste Zeit des Jahres unter einer Käse-Glocke, die den Abzug von Luftschadstoffen verhindert.

Das wurde gestern bei einem Informationstermin im Rathaus deutlich, bei dem eine Meteorologin die von ihr erstellte Inversionsstatistik für Korbach vorstellte.

Diese hatte in den vergangenen Wochen für Diskussionen in der Kreisstadt gesorgt, nachdem Dr. Peter Koswig namens des Waldecker Ärztenetzwerkes den Entwurf für das Gutachten eingesehen und Informationen daraus veröffentlicht hatte. An 250 bis 300 Tagen im Jahr herrsche in Korbach eine so genannte Inversionswetterlage (siehe Stichwort). Diese verhindere, dass Luftschadstoffe abziehen. Der Schornstein des im Bau befindlichen Müllheizkraftwerkes müsse mindestens 100 Meter hoch sein, um diese Sperrschicht zu durchstoßen, hatte Koswig im Januar erklärt. Geplant ist der Schornstein mit einer Höhe von 60 Metern.

Aufgrund der Messdaten der Wetterstation in Fritzlar (siehe Hintergrund) hatte Gutachterin Gudrun Schlaf eine Zahl von 250 bis 300 Inversionen pro Jahr festgestellt. Das bedeutet aber nicht, dass an bis zu 300 Tagen eine Inversions-Glocke über der Stadt liegt, sagte die Wetterkundlerin gestern. Die Station messe um Mitternacht, um 3, 12 und 15 Uhr. Dabei lasse sich aus den Daten zwar ablesen, ob zu diesen Uhrzeiten eine Inversionslage herrschte, nicht aber, wann sie begonnen oder sich wieder aufgelöst hat.

Luft steigt nicht auf

Viele Inversionslagen würden nachts entstehen, wenn Kaltluft von den umliegenden Höhenzügen in die Stadt strömt, sich also kalte Luft unter die wärme Luft in höheren Schichten schiebt. Gerade im Winter würden sich solche Inversionen tagsüber manchmal nicht auflösen, weil die Sonne die Luft am Boden nicht stark genug erwärmt, erklärte Schlaf. In solchen Fällen würde ein und die selbe Inversion von der Messstation unter Umständen mehrfach erfasst. Deutlich wurde auch, dass eine Inversion nicht grundsätzlich schlecht ist. Der Zufluss kalter Luft in der Nacht sei für das Stadtklima sogar ausgesprochen notwendig, um für Abkühlung und Erfrischung zu sorgen. Auch wirke nicht jede Inversion wie ein Topfdeckel, sondern nur die besonders stark ausgeprägten.

Im Bereich bis 100 Meter Höhe habe sie 70 so genannte nächtliche Bodeninversionen pro Jahr ermittelt. Davon seien 48 besonders stark ausgeprägt gewesen. Die meisten würden sich tagsüber auflösen. Über den Messzeitraum von 19 Jahren habe sie im Jahresschnitt zwei bis drei Bodeninversionen am Tag gezählt. Die Inversionsschichten seien durchaus auch durchlässig, sagt Schlaf, und - mit Blick auf das Heizkraftwerk - aus Schornsteinen komme warme Luft, die aufsteigen und die Luftmassengrenze durchstoßen könne. Die in ihrem Gutachten verwendeten Daten gäben keinen Aufschluss darüber, wie stark die Inversionen sind und wie stark sie das Stadtklima abschotten.

Von Ingo Happel-Emrich
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STICHWORT

Inversionswetter

Normalerweise nimmt die Lufttemperatur vom Erdboden in Richtung Himmel ab. Pro 100 Meter beträgt die Temperaturabnahme etwa ein Grad Celsius. Bei Erwährmung dehnt sich Luft aus, wird leichter und steigt in einer kälteren Umgebung auf. Auf diese Weise steigen ein Heißluftballon oder warme Auto- und Heizungsabgase hoch.

Anders ist es, wenn die aufsteigende Warmluft an eine wärmere Sperrschicht, in der eine Temperaturzunahme erfolgt, stößt. Solch eine Luftschicht mit Temperaturumkehr nennt der Meteorologe Inversionsschicht (siehe Grafik links).

An ihr bleibt die aufsteigende Luft, weil sie nicht wärmer und leichter ist, hängen. Alle möglichen Abgase vom Straßenverkehr, Heizanlagen usw. können dann unter ihr angereichert werden. Hat sich unter der Inversionsschicht Nebel (fog) gebildet und werden dann Verbrennungsprodukte (smoke) in den Nebeltröpfchen angereichert, spricht man vom Smog. (nh/emr)

 

HINTERGRUND

Warum das Klima in Fritzlar mit dem in Korbach vergleichbar ist

Die Daten, die der Deutsche Wetterdienst für sein Cutachten verwendet hat, stammen von der so genannten Radiosondenaufstiegsstation am Bundeswehr-Flugplatz der dortigen Heeresflieger. Von Fritzlar nach Korbach sind es 34 Kilometer - wieso kann man die Daten aus Fritzlar für ein Cutachten für Korbach nutzen?

„Ich habe nie gesagt, dass die Daten eins zu eins übertragbar sind", erklärte Gutachterin Gudrun Schlaf gestern. Aber: Beide Städte hätten eine ähnliche Topografie sie liegen in einer Tal- oder Muldenlage, haben eine Landschaft mit ebenen Freiflächen, Hügeln in der Nähe und einem Bach- beziehungsweise Flusslauf.

Die Daten aus Fritzlar böten eine „bestmögliche Vergleichbarkeit" der Klimasituation. Normalerweise befänden sich die Messstationen, die der Wetterdienst für seine Gutachten heranzieht, bis zu 100 Kilometer entfernt. Denn Radiosondenaufstiegsstationen seien sehr teuer. In ganz Deutschland gebe es etwa zehn Stück - die meisten von der Bundeswehr betrieben.

Klimadaten direkt aus Korbach zu erheben, hält die Gutachterin für zu aufwendig. Dagegen sprächen nicht nur die enormen Kosten für eine Messstation. Auch müsse man mindestens zehn Jahre lang messen, um wissenschaftlich verwertbare Daten zu erhalten. (emr)

Teil des Artikels im Original-Format als PDF-Datei

Quelle: HNA vom 20. Februar 2008



 

Meteorologin stellt Wetter-Statistik im Rathaus der Öffentlichkeit vor

Von Lutz Benseler
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KORBACH. Viel Wind um nichts? Die Stadt hat gestern die lang erwartete Statistik des Deutschen Wetterdienstes der Öffentlichkeit vorgestellt. Deren Ergebnisse entpuppen sich nun als weniger brisant, als es Korbacher Müllheizkraftwerksgegner erwartet hatten.

Das Papier sorgte schon im Vorfeld für viel Wirbel in der Kreisstadt. So durfte die Bürgerinitiative für ein lebenswertes Korbach in einen Entwurf Einblick nehmen - und schlug sogleich Alarm: Bis zu 300-mal würden so genannte Inversionswetterlagen dafür sorgen, dass Korbach wie unter einer Käseglocke liege und Abgase nicht abzögen. Schließlich standen sogar Manipulationsvorwürfe im Raum, weil bei einem Erläuterungsgespräch mit der Meteorologin ausgerechnet das Regierungspräsidium eingebunden war. Gegen den Genehmigungsbescheid der Behörde hatte die Bürgerinitiative Klage eingereicht.

Zahlen ohne Zündstoff

Die gestern vorgestellten Zahlen bergen tatsächlich viel weniger Zündstoff, als es die Diskussionen der letzten Wochen haben vermuten lassen. Vor allem aber geben sie keine Auskunft darüber, welche Auswirkungen Inversionswetterlagen auf Abgase aus dem künftigen Müllheizkraftwerk haben. „Die Statistik liefert keine lufthygienische Bewertung", betonte Meteorologin Gudrun Schlaf, die die Daten gestern im Rathaus erläuterte. Grundlage für die Statistik bilden Messungen aus Fritzlar, wo die nächste Messstation mit Radiosonden des Deutschen Wetterdienstes angesiedelt ist. Die Stadt biete aufgrund ähnlicher Strukturen die bestmögliche Vergleichbarkeit zu Korbach, ohne aber dass die Daten 1:1 übertragbar seien, so Schlaf.

Zumindest was die Zahl der Inversionswetterlagen betrifft, kann Entwarnung gegeben werden: Zwar geht die Meteorologin von insgesamt bis zu 300 Inversions-Ereignissen pro Jahr aus. Tatsächlich dürfte die Zahl aber erheblich niedriger liegen, da viele mittags registrierte Inversionen sich bereits nachts ausgebildet haben und somit doppelt gezählt werden. Denn gemessen wird zweimal am Tag. Außerdem sind nicht alle dieser speziellen Wetterlagen gleich stark ausgeprägt.

„Nicht jede Inversion wirkt wie ein Topfdeckel", erklärte Schlaf. Auch im bundesweiten Vergleich weist Korbach nach Angaben der Meteorologin keine Auffälligkeiten auf. Zwischen 210 Inversionstage im Norden und über 250 im Süden Deutschlands seien normal, erklärte die Wetterkundlerin.

Kaltluftsee über Korbach

Von Bedeutung in Korbach sind vor allem sogenannte Bodeninversionen. Bei klarem Wetter kühlt nachts der Boden schnell ab und mit ihm die untersten Luftschichten. Die Luft am Boden ist somit kälter, als die darüberliegenden Luftmassen. Weil die Kreisstadt in einer Art Mulde liegt, zieht die kalte Luft nur langsam in Richtung Twistetal und an der Kuhbach entlang ab. Es bildet sich ein Kaltluftsee, der sich südlich vom Korbacher Stadtgebiet bis zu 90 Meter hoch aufstaut, nördlich sind es maximal 40 Meter. Zum Vergleich: Der Schornstein des Müllheizkraftwerkes in der
Stadt ist 63 Meter hoch, dürfte also in der Regel die kalte, sich stauende Luftschicht überragen. Vor allem von Mai bis September kommt es nachts verstärkt zu Bodeninversionen, im Winter sind sie mittags häufiger. Über das Jahr gesehen sind es etwa 70. Stark ausgeprägte Bodeninversionen kommen sogar nur knapp 50-mal pro Jahr vor.

Der Bürgerinitiative sei die Möglichkeit eingeräumt worden, Entwurf und Endfassung zu vergleichen, um die Manipulationsvorwürfe auszuräumen, sagte Bürgermeister Klaus Friedrich. „Wir wollen ein Klima der Offenheit schaffen", so das Stadtoberhaupt. Der Unterschied zwischen beiden Versionen bestünde nur in zusätzlichen Erläuterungen, um die Zahlen auch für Laien verständlich zu machen.

Klima der Offenheit

Meteorologische Messungen in Korbach selbst, wie von der Bürgerinitiative gefordert, sind übrigens kaum zu realisieren: Um statistisch belastbare Zahlen zu erhalten, müssten Messdaten über einen Zeitraum von mindes zehn Jahren gesammelt werden, führte Schlaf an. Außerdem seien Radiosonden, mit denen die Temperaturen der unterschiedlichen Luftschichten gemessen werden, sehr teuer, so die Meteorologin.


HINTERGRUND

Inversionen

(lb). Normalerweise nimmt die Temperatur der Luftschichten mit steigender Höhe ab. Bei einer Inversion ist es umgekehrt: Eine warme Luftschicht liegt über einer kälteren und schirmt diese ab. Die Folge ist, dass sich Schadstoffe wie unter einer Käseglocke ansammeln können. Smog ist eine typische Erscheimmgsform.

Original-Artikel im PDF-Format 

Quelle: WLZ vom 20. Februar 2008

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